Fundstücke III: Tropfenwege (Band VII)
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Große Tropfen erhoben sich zu meiner Linken und zu meiner Rechten, und mein Herz pochte wild, weil es zu verstehen versuchte, was es nie zuvor gesehen hatte. Ein Heulen brachte mich zusätzlich aus dem Konzept. Hatte ich ein Konzept? Widersprüchlichkeiten häuften sich an zu einem Gedankenballen. Niemand hatte mir erklärt, wo ich war. Ich weiß nun, dass eine solche Hilfestellung schon deshalb unmöglich gewesen wäre, weil niemals jemand vor mir hier gewesen war. Und mein einziger Verfolger war ein guter alter Bekannter: ich selbst. Braun und Grün mischten sich zu einem Turm von Oliv, der den Eindruck machte, als könne er weder einstürzen, noch fliegen. Einerseits schien er leicht genug zu sein, um von Federhänden getragen zu werden. Andererseits war er so stabil gebaut, dass er das Gefühl erweckte, er sei so tief im Untergrund verwurzelt, dass er seine Geburtsstunde mit der des Planeten teilte. Ich schritt schneller, um meinen eigenen Gedanken zu entgehen, doch eigentlich war mir zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst, dass es unmöglich war, meinem ständigen Verfolger zu entgehen. Mein Gesicht zog Grimassen, die ich nicht verstand. Hätte ich einen Spiegel bei mir gehabt, ich hätte ihn mit Schmutz beschmiert, um mich selbst nicht ansehen zu müssen. Mein Geist unterzog sich daraufhin genereller Kritik. Als Teil meines eigenen Bildes hatte ich völlig die Kontrolle über die Gestaltung meines Wegs verloren. Aber ich hatte keineswegs das Gefühl, dass es sich hierbei um einen schwer wiegenden Verlust handelte. Im Gegenteil. Das Voranschreiten wurde leichter, er-träglicher, meine Maske trug mich von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, hinein in die Welt, in die ich zugleich stürzte und mich verliebte. Und über mir leuchteten die Sterne. Einer war so hell, dass er blendete wie ein unangenehmes Blitzlicht. Er meinte es nicht böse, ich weiß. Dennoch war ich stetig bemüht, mich vor ihm zu verbergen. Er schien durch mich hindurch zu leuchten. Eines Tages rastete ich auf einem Gewächs, dessen Oberflächenstruktur mich an Hirnrinde erinnerte. Es war auf allen Seiten von Wasser umgeben, das sich in verschiedene Richtungen bewegte. Ich glaube, man sagt, es wogte. Unter mir erhob sich ein Stamm von vielen Metern Höhe, an dem sich kleine Haare damit beschäftigt waren, sich gegenseitig aufeinander aufmerksam zu machen. Aber nun zurück zu meiner Erzählung. Wie ich sagte, saß ich auf dem Gewächs, das sich offensichtlich über mich unterhielt. „Nichts entgeht mir“, flüsterte ich, „denn du bist ich, so wie ich dich will und nicht mehr aber auch nicht weniger.“ Wenige Sekunden später hatte ich mit meinem eigenen Sturm der Entrüstung zu kämpfen, der mir klar machen sollte, dass ich mich verhalten hatte wie ein Haar auf der Butter, während man versucht, mit dem Kamm ein Muster darauf abzubilden. Ich hatte mich schlicht in mir selbst verheddert. Manchmal tut es weh, Räume zu leugnen, in die man noch nicht eingetreten ist. Manchmal aber besteht gerade darin der Mut der Verzweiflung, mit der man durchs Leben geht und sich Ziele setzt, obwohl man auf sein sicheres Ende zusteuert, ist es nicht so? Wäre in jenem Moment ein Vulkan hinter meinem Rücken ausgebrochen, ich hätte es nicht bemerkt. Und das geht mir, ganz nebenbei bemerkt, des öfteren so. Ab und zu greife ich in solchen Momenten zu einem meiner Taschenrechner und bemühe mich, mir meine Existenz rechnerisch zu beweisen. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass zwei der drei Geräte schon vor Monaten von mir selbst präpariert wurden. Ja, ich habe die Tasten verklebt. Die Feststelltaste und die Reset-Taste sind bewegungsunfähig. Gelähmt. Vom Holzleim an eine Plastikoberfläche gefesselt, die ihnen so fremd vorkommen muss wie ein Möbelhaus einem tropischen Nadelwald. Aber ich spüre, ich entgleite wieder. Deshalb erzähle ich nun weiter. Die kleinen Stängel, auf die ich meine wunden Füße gestellt hatte, waren so weich wie ein afrikanischer Flokati. Pelzig wie ein kleiner Traubenschoß hatten sich die haarigen Miniaturarme um meine Knöchel gelegt. Sie paarten sich bereits mit meinen Gedanken, und ich war plötzlich voller überraschender Ideen. „Sein Name ist Tolifoas“, dachte ich und wusste, dass ich mit meiner Annahme Recht hatte. Ein tiefer Stolz durchfuhr meinen mittlerweile ausgemergelten Körper, auf dem die Erinnerungen des Jahrhunderts in langen Kreisen nach ihren einzigartigen Regeln tanzten. Das Prinzip Hoffnung übertrug sich von einem Stängel zum nächsten, und ich begriff, dass der Name meines Wirts der Schlüssel zu seiner Zuneigung war. Umgehend begann ich, Nahrung zu mir zu nehmen, die tropfenweise von den blaugrünen Blatthälsen zu mir hinab glitt. Mal hatte ich das Gefühl, dass sich meine Finger mit Treibsand füllten, ein anderes Mal schien mein Herz vor Freude zu bersten. So ist es eben, wenn man spürt, wie die Lebensenergie zurückkehrt, Sie kennen das. Ich schob mit meinen Händen ein wenig Sand beiseite und blickte hinauf in den klaren Nachthimmel, an dessen schönsten Stellen jene kleinen Glasperlen funkelten, die wir gemeinhin als Sterne bezeichnen. Ein dummer Name für etwas, was bereits alt war, als unsere Molekularpläne noch tief in ihren Betten lagen und von der Ewigkeit träumten. Die Helligkeit war fast vergangen, als die Morgendämmerung schließlich zögerlich, viel zögerlicher als ich es gewohnt war, hinter dem Horizont hervor kroch. Kleine Tiere, Pilzen und Pantoffeln ähnlich, schlangen sich umeinander, weil sie sich darüber bewusst zu sein schienen, wie wichtig gegenseitige Nähe in dieser Welt war auch dann, wenn man sich eigentlich nur weit voneinander entfernt begegnete. Alles dies erschien mir wie Poesie. Salven blattähnlicher Formen schwebten vorbei, und der leichte Windhauch stieß Luft wie Silben zu mir herüber und schob sie dann gekonnt an mir vorbei. Knapp vorbei. Eben genauso knapp, dass es wie Poesie klingt. Mein Geist war bemüht, die Silben zu ergreifen, sie zu fangen und zu bergen, aber da war etwas, das mich hinderte, mir jene Klarheit zu verschaffen. Vielleicht war ich es selbst, der gar nicht wissen wollte, wie ihm geschah. Ich weiß es nicht. Aber nun zurück zur Sache. Mein Schlaf war gut und tief gewesen. Die Stängel hatten sich an mich geschmiegt, als wollten sie mir für alle Ewigkeiten den Rücken stärken. Einmal, aber es war nur ein ganz kurzer Moment, da führten mich meine Träume in farblose, fahle Abgründe. Zwar wollte ich dem Weg hinab nicht folgen, doch es zog mich, als ob die Wirklichkeit beschlossen hätte, mich nun doch endlich zu fressen. Es dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, bis ich Tolifoas‘ Stimme hörte, die mich nicht etwa zurückhielt, sondern mir anbot, mich zu begleiten. |
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