Fundstücke I: Mitbringsel von Siboyl (Band VII)
Er gab mir dies zur Erinnerung an seine Antwort auf die Frage, warum meine ständige Rückkehr einer seiner größten Wünsche sei.

"Megahd hat ein stilles Wesen. Er sagt immer, er sei fasziniert von unserer Ausgeglichenheit und der Ruhe. Er sagt immer, sein Herz schwebe in der Blüte seiner Hoffnungen."
Zum Glück hatte Ygrayo sofort verstanden, was er meinte. Er flüsterte mir zu, dass er Megahd für einen Vater halte, zu dem nur ein anderer Sohn als er selbst passe. Ygrayo sagte, er könne schon jetzt von Megahd nichts mehr lernen, obwohl er viel älter sei als er. Wie dem auch sei, für Ygrayo ist er ein Spielkamerad, für mich bleibt er ein Freund, den ich verehre. Ich bin außerdem sicher, dass ich von ihm lerne, und sei es nur die Vergegenwärtigung unserer einstigen Unzulänglichkeiten.

Vor einiger Zeit reisten Ybinee und ich gemeinsam mit ihm nach Niwia. Wir benötigten zwölf Tagesreisen, bis wir den Golf erreichten. Ich glaube, der Weg kam ihm lang vor, und ich bin sicher, dass er oft im Dunkel des Ruhens daran denkt, wie wunderbar dort Gold und Silber am Ende der Tage ins Meer fließen. Das ist der Kern. Zerfließen bedeutet, zurückzukehren.

Ybinee hält Megahd für einen zurückgezogenen Geist. Ich denke, es gibt vieles, was ihn immer wieder beschäftigt. Mir ist nicht recht klar, warum er so denkt, wie er denkt. Er ist für viele von uns nicht ganz durchschaubar. Aber das mag auch daran liegen, dass er hier noch immer neue Erfahrungen macht und nicht weiß, wie er darauf reagieren soll.

Als wir gestern am Ende des Tages die Mahlzeiten zubereiteten, fragte er mich, welche Zutaten sich in unseren Töpfen befänden. Vielleicht versteht man mich falsch, wenn ich es so sage, aber ich spüre in diesen Momenten immer diese seltsame Art von Misstrauen und Unsicherheit, die ich weder von Ybinee, noch von Zalio - und er ist wirklich manchmal eigenartig, was seine Äußerungen über unser Essen angeht - oder seiner Frau, noch von irgend einem anderen meiner Freunde kenne. Natürlich versucht er, uns nicht spüren zu lassen, dass er weiß, was ihn von uns unterscheidet, aber manchmal kann ich kaum ertragen, wie sehr er mit Kräften kämpft, die sein Inneres zu einer reinen Schlangengrube machen. Vielleicht sind sie einfach so und man muss sie kämpfen lassen.

Der Golf ist ein Ort des Lichtes. Ich kenne wenige Stellen im Norden des Kontinents, die ein solches Licht zeigen. Wenn die Lichter und das Dai untergehen, spiegelt sich die Zukunft im nördlichen Wasser. Die Nächte am Golf sind fast immer warm und mild, so dass man im Dunkeln die Gedanken spüren kann, die sich am Tag gesammelt haben und in der Ruhe verarbeitet werden wollen. Ich danke unseren Vorfahren für all die Arbeit, die sie leisten mussten, um uns das Leiden des Unlösbaren zu ersparen. Immer wenn ich am Was-ser bin, kann ich Gedanken fassen, die mir am nächsten Morgen deutlich machen, warum ich bis zum vorangegangenen Abend gelebt habe. Diese Welt ist eine Heimat.

Koay sagt, alles es sei am Ende ein weicher Fluss, der uns zusammenführt. Oft habe ich bereits jetzt Schwierigkeiten, uns im Kern zu unterscheiden. Megahd hat einmalk gesagt, er glaube, dass wir alle unterschiedlich seien. Er irrt sich. Es sind nur die Erfahrungen, die uns unterscheiden. Wir sind alle Staub und Kraft. Jeder besteht aus denselben Einzelelementen, aus derselben Materie. Selbst Megahd tut das, obwohl er vermutlich von weit her kommt. Aber was zählt das? Er erscheint anders. Aber er erscheint nur anders. Auch er vergeht in demselben Kern, in dem auch wir vergehen. Auch seine Energien enden an der selben Stelle, da wo Zeit und Raum einig sind, zu rasten, zu bleiben und die Dynamik der Dinge aufgehoben ist. Dort, wo alles zusammenfließt und sich dann im Kreis ohne Außen bewegt. Jedes Außen ist künstlich. Es gibt kein Außen. Außen heißt Konflikt, Abgrenzung, Systembildung. Es gibt kein System. Es gibt nur Zusammenhange ohne getrennte Funktionen, es gibt nur das Prinzip. Die eine Weise. Megahd empfindet es auch, aber er weiß es noch nicht.


Es ist bedauerlich, dass Megahd vermutlich für immer jene Mängel in sich tragen wird, die für Menschenwesen so typisch sind. 
Bis zu seinem Tod wird er immer nur ein Besucher bleiben. Zumindest ist das seine Vorstellung.
gab mir dies zur Erinnerung daran, warum meine ständige Rückkehr einer seiner größten Wünsche sei.

Siboyl lächelte freundlich, als er sah, dass ich den Text gelesen hatte. Er war so anders als die Briefe, die ich kannte.

 

Zurück zur Dokumentenseite