Kontinuität und ayganyisches Denken (Band I)
Die Verdrängung des Chaos hat eine Hemmung der Kreativität
und damit einen Widerstand gegen die Imagination zur Folge.
Die schöpferische Imagination, die am stärksten in Menschen wie Euler oder Bach zutage tritt,
sollte in jedem rege sein.
Die Leute haben aber einen Widerstand gegen ihre eigene schöpferische Imagination.

Ralph Abraham

Die Ayganyier nehmen sowohl die Geisteswelt ihres Schöpfers, als auch die damit einhergehende inhärente Dynamik, gleichsam als eine ihnen selbst eigene Denkwelt sowie als gültige Wahrheit an, weil sie wissen, dass sowohl sie als auch die sie schaffenden Energien denselben existenziellen Prinzipien unterliegen. Die Hierarchie zwischen Schöpfer und Geschöpf innerhalb dieses Projekts war und ist damit viel unklarer als man zunächst annehmen könnte.

Die Existenz Ayganyans bewirkt in vielerlei Hinsicht eine Neuordnung und zugleich auch Verwirrung. Woran liegt das?
Zunächst fühlen wir uns in unserer Vorstellung von Kontinuität wohl (und vor allem sicher), da unsere physischen und psychischen Wahrnehmungssysteme biologisch auf den Ausschluß von Weltinformationen angelegt sind. Die Erfüllung von Erwartungshaltungen bezüglich der Zukunft hilft uns bei der Orientierung. Kontinuität ihrerseits wird innerhalb dieses Projekts immer wieder durchbrochen. Das ist unvermeidbar, wenn man die Frage stellt, warum Ideen zum Zeitpunkt ihres Auftretens die Strutkuren von Gegebenheiten enu ordenen oder auflösen, und warum das, was wir erleben, so ist wie es ist. In diesem Kontext stellen sich eine Reihe von Grundfragen, die sich im Sinne einer endlosen Semiose fortführen ließen. Warum ist die Idee hinter diesem Projekt überhaupt entstanden? Woher kommt das Potenzial, das sie ermöglichte und das sie ständig weiter entwickelt? Warum geschieht dies in einer beobachtbaren Welt, innerhalb derer die Idee selbst reflektiert werden kann? Wo liegt der Unterschied zwischen den energetischen Anteilen von Traum, Imagination, dem ihnen möglicherweise gemeinsamen Telos und potenziell darauf folgenden Prozessen innerhalb der Sphäre, die wir als unsere tägliche Wirklichkeit bezeichnen? Mit anderen Worten: Warum kommen uns Ideen, warum setzen wir Utopien um, und wieso bewerten wir Rationalität (trotz ihrer, dem Aufbau nach ähnlichen Struktur) anders als die emotionale, offene und utopische Komponente unseres Lebens?

Zur Klärung dieser grundlegenden Fragen könnte auf das anthropische Prinzip zurückgegriffen werden, das die Beobachtbarkeit und die Funktionsweisen eben dieses einen Universums (oder auch die Erlebbarkeit eines momentanen Zustands) schlicht auf unser Vorhandensein zurückführt. Selbst wenn wir, bei Umkehr des Zeitpfeils, feststellen, dass die physikalischen Eigenschaften auf so bemerkenswert exakte Weise zu jenen Voraussetzungen für unsere Existenz geführt haben, dass es fast unglaublich ist: Wäre das Universum, das wir beobachten können, nicht so, wie es ist, so wäre niemand wie wir da, um es zu beobachten - wäre die Welt anders als sie ist, dann wären wir nicht hier, um sie zu erleben, so das Erklärungsmuster des anthropischen Prinzips. Wären die Potenziale für unsere Ideen nicht gegeben, so gäbe es niemanden, der sie nutzen oder beobachten könnte. Das schließt jedoch keinesfalls aus, dass es Potenziale (oder deren Knotenpunkte) geben mag, die wir selbst nicht beobachten oder erleben können.
Auf dieses Projekt bezogen hieße das: Wären die Ayganyay anders, dann wäre auch ihr Schöpfer nicht das, was er ist. Wäre ihr Schöpfer nicht vorhanden, so gäbe es niemanden, der die Geschichten, die seine Völker über ihn erzählen, als seine eigenen ausgeben könnte.
Terence McKenna
(1) hat das Prinzip einer teleologischen Bewegung der Welt in die Diskussion gebracht, die vom Endzustand her konstruiert ist. Sie lässt sich leichter begreifen, denkt man unseren Zeitstrahl umgekehrt und unsere imaginativen Fähigkeiten als tendenziell an einem höheren Ordnungszustand ausgerichtet, der - früher oder später - zu nichts anderem als einer Ganzheit im Sinne einer absoluten Komplexität führen wird. In diesem Modell geht es also, anders als beim anthropischen Erklärungsmuster, nicht um Auslöser und Begründungen, die in der Vergangenheit wurzeln und zwangsläufig zum vorübergehenden, logischen Endpunkt im "Hier und Jetzt" führen müssen, sondern um eine in der Zukunft liegende Ursache für unsere Möglichkeiten und Zustände. Die Zukunft ist hier also die "ziehende" Kraft, die keinen Auslöser in der Vergangenheit benötigt.
Das Grundmuster hinter diesem Ansatz besitzt eine Eleganz, die unsere eigene, dimensional begrenzte Beschränktheit mitdenkt - und dahinter offenbart sich ihre Schönheit, die zudem neue Rahmenbedingungen für den Sinnbegriff setzt.
Dieser neue Sinnbegriff, der nahe am Inhalt des Seins liegt, ist nicht zuletzt Teil der Basis dieses Projekts sowie der Frage, warum und wozu es letztlich eigentlich existiert.

Die Welt Ayganyans wird innerhalb eines Universums entworfen, das auf die Vorstellung von Kausalität, Dimensionalität und Kontinuität nicht komplett verzichten kann, denn letztendlich ist die hier beschriebene Welt auch auf die Grundorientierungen des menschlichen Geistes angewiesen. Wo keine Mutter ist, das ist auch keine Geburt. Die Grenzen jedoch sind offen.
Eine Welt, die zwar der unsrigen entspringt, jedoch getrost auf eherne Gesetze verzichten kann, solange sie sich selbst zu reproduzieren vermag, muss keinen steifes Korsett besitzen, zumal sich der Grund, in dem ihre Wurzeln wachsen, kontinuierlich verändert. Ayganyan wandelt sich und wächst. Ayganyan hat eine bisher etwa zwanzig Erdenjahre andauernde Entdeckungs-, Erkundungs- und Erarbeitungszeit erdulden müssen. Interessant ist dabei, dass der Erlebnishorizont im Zuge dessen nicht kleiner, sondern gerade aufgrund der intensiven Forschungsarbeit wesentlich weiter geworden ist. Die Vorgehensweise ist derweil über die Jahre hinweg im Prinzip dieselbe geblieben. Klar ist: Der Kern Ayganyans kann nicht geklärt werden, und daher wird er umkreist. Er wird stetig umrundet, beschrieben und sensibel beobachtet. Seine Funktionen sind dabei einer ständigen Neuentdeckung ausgesetzt. Prinzipien, wie etwa die an anderer Stelle besprochenen Madogi, mögen mancher Vorstellung zunächst schwer greifbar erscheinen, aber sie sind es nicht. Schwer greifbar sind allenfalls die Kreise, die sie ziehen. Schwer zu fassen mag auch der Weg sein, den der Geist geht, wenn er sich ihnen nähert. Genau in diesen Momenten entsteht die Spannung des Potenzials, das sich seinen eigenen Ursachen und Möglichkeiten zu nähern versucht. Die Offenheit der Idee steht hier ihrer eigenen Existenzgrundlage gegenüber - der Möglichkeit, dass es sie geben kann! Damit blickt die Existenz in solchen Momenten in einen doppelten Spiegel, in dem nicht nur sie selbst sichtbar wird, sondern auch die Tatsache, dass sie es sich selbst ermöglicht, hineinzusehen.

Tatsächlich kompliziert stellen sich allerdings jene Strukturen dar, die man aufbauen muss, um Potenziale in einer Form abzubilden, die uns unsere selbst verschuldete Käfighaltung erstens erlaubt, und die ihnen zweitens in ihrer Vielfalt auch noch im Ansatz entspricht. Potenzielle Freiheiten selbst sind nicht problematisch, und sie selbst fliehen nicht vor dem Geist. Sie sind schlicht vorhanden. Viele Geister (oder besser: menschliche Hirne) fliehen jedoch vor ihnen wie schlechte Erinnerungen vor Bildern aus alten Fotoalben, die man lieber vergessen möchte. Und gerade das mag ein zentraler Fehler unserer alltäglichen Fantasie sein, der uns neue Schranken setzt!

Wesentlich ist in solchen Zusammenhängen, allem Anschein zum Trotz, nicht die Logik an sich, sondern die Erscheinungsform des scheinbar logischen Zusammenhangs. Diese Erscheinung ist nicht zwingend durch intersubjektiv vermittelbare Komponenten bestimmt. Sie muss nicht auf den üblichen Wegen verstanden werden. Sie geht künstlerische Wege, und dabei zeigt sie sich in einem zunächst völlig subjektiven Gewand. Sie spielt mit ihren eigenen Gesetzen, und sie versucht, ihre eigenen Grenzen auszuloten, indem sie bemüht ist, sie zu überschreiten, wo sie nur kann. Im ständigen Spiel mit den eigenen Möglichkeiten sowie dem verzweifelten Kampf mit der eigenen Beschränktheit auf die Trampelpfade der zerebralen Landkarte wird hier versucht, Kausalität und Kontinuität auf einer Metaebene in eine neue Ordnung zu bringen, die im Wissen um sich selbst immer wieder zurückgreift auf die eigens dafür erzeugten Grundlagen. Sie ist damit zutiefst reflexiv und gestaltend.

Der Versuch, die eigene Semiose einerseits gestalterisch umzusetzen, ohne sie im Thema und im Kern zu behindern, d.h. die ihr innewohnende Dynamik zu akzeptieren, und auf der anderen Seite die freien Assoziation vom eigenen Subjekt zu lösen, mag zunächst schizophren erscheinen. Auf den zweiten Blick ist dieses Experiment gerade deshalb so interessant, weil es einzig und allein seinen eigenen Weg thematisiert - eine Landkarte des Gehirns, die sich selbst zeichnet.
Die Absicht hinter der Zielsetzung - Aufklärung - ist natürlich per se zum Scheitern verurteilt. Ein erreichbares Ziel aber bleiben die konsequente Neuordnung sowie die Neuverortung von Gedanken mit Hilfe künstlerischer Formen. Das Umkreisen des oben erwähnten Kerns kommt damit dem Umkreisen eines blindes Punktes gleich. Es entspricht in etwa der gleichsam durch Neugier, Lust und Hilflosigkeit geprägten Situation, vom Leben aus hinter den Tod oder zurück vor die Geburt zu blicken zu wollen. Ähnlich lustvoll gestaltet sich eine Beschäftigung mit Begriffen wie dem der Unendlichkeit.

Der Blick auf den erwähnten Kern ist also mehr als reizvoll, auch wenn er sich, wie etwa ein Quantenteilchen, erst im Moment seiner Betrachtung - und gerade eben deshalb - definiert! Die oben gestellten Fragen sind, betrachtet man die Resultate auf der gestalterischen Ebene, zugleich auch eine Lösung, wenngleich sie nicht die Antwort darstellen. Der Blick ist die Hand, die greift, die Nase, die riecht; der Gedanke ist der schmeckende Mund oder der fühlende Handrücken, der sich der Blätter eines flachen Baumes aus einem der großen Waldgebiete der Zentralkontinente Ayganyans, der khelin-lenntayn, erinnert.

Ordnung schaffen heißt in diesem Projekt, die Möglichkeit mitzudenken, diese jederzeit wieder zu verwerfen. Kontinuität als gebrochen zu akzeptieren, heißt beispielsweise, assoziativ konstruierte Sprachen (wie z.B. das Koolayal) jederzeit ändern zu dürfen, gleichsam ohne sie zu zerstören, denn ihre Funktion bliebe in jedem Fall dieselbe: Verständigung.
Da die Ayganyier demselben Geist entspringen, dem auch die Entscheidung darüber zufällt, wie sich ihre Sprache gestaltet, verändern sich mit jedem Eingriff auch die Möglichkeiten der Ayganyay. Da es zudem immer um eine selbstreferenzielle Konzeptentwicklung geht, spielt die Prozesshaftigkeit des Projekts allenfalls dem bisher Entdeckten übel mit, keinesfalls jedoch dem entdeckenden Geist oder der neuen Idee. Im Gegenteil: Diese Dynamik geht meistens mit dem Wunsch einher, sich an neuen Grenzen zu versuchen.

Anmerkungen (Literaturangaben siehe hier)

(1) vgl. dazu Abraham, McKenna, Sheldrake 2002



 

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